Politisch brisant ist auch die Rolle des Schiedsgerichts, das es einzelnen Konzern ermöglichen soll, einem Staat gewissermaßen auf Augenhöhe entgegenzutreten. Die dreiköpfigen Kammern wären unter Aufsicht der Weltbank und der UNO organisiert und könnten staatliche Entschädigungszahlungen anordnen, wenn sie befinden, dass die Politik oder bestimmte Maßnahmen einer Regierung die "erwarteten künftigen Profite" eines Unternehmens schmälern. Dieses Schlichtungsregime macht klar, dass die Rechte von Unternehmen höherwertig sein sollen als die Souveränität von Staaten. Es würde Unternehmen ermächtigen, die Regierungen der USA oder eines EU-Staats vor ein außergerichtliches Tribunal zu zerren. Und zwar mit dem schlichten Argument, dass die Gesundheits- oder Finanz- oder Umwelt- oder sonstige Politik dieser Regierung ihre Investorenrechte beeinträchtigt. Dieses System einer extremen Begünstigung der Unternehmensinteressen wurde bereits in mehreren "Freihandelsabkommen" der USA verankert. Dadurch flossen mehr als 400 Millionen Dollar an Steuergeldern an Unternehmen, die gegen Verbote giftiger Substanzen, Lizenzregeln, Gesetze über Wasserschutz oder Waldnutzung und andere "investitionsfeindliche" Regelungen geklagt hatten.(1) Vor diesen Tribunalen sind derzeit Klagen von Unternehmen mit einem Streitwert von 14 Milliarden Dollar anhängig, die sich etwa auf die Arzneimittelzulassung, auf die Haftung für Umweltschäden oder auf Klimaschutz- und Energiegesetze beziehen.
Das TTIP-Tafta-Projekt würde diesem Drohinstrument der Investoren gegenüber dem Staat eine ganz neue Reichweite verschaffen. Denn dann könnten Tausende von Unternehmen, die in den USA wie in der EU Geschäfte machen, alle möglichen staatlichen Gesetze zum Schutz der Gemeinschaftsinteressen aufs Korn nehmen.
Investorenrecht vor nationalen Gesetzen
Die Schlichtungskammern, die sich mit ihren Entscheidungen über Regierungsmaßnahmen und staatliche Gesetze hinwegsetzen können, bestehen aus drei Juristen, die normalerweise für den privaten Sektor arbeiten.(2) Viele von ihnen sind in ihrem normalen Berufsleben Anwälte von Unternehmen, die gegen Regierungen klagen. Der exklusive Klub der "Richter" solcher internationalen Schlichtungskammern wird von 15 Rechtsanwaltsbüros dominiert, die mit 55 Prozent aller bisherigen Investitionsklagen gegen Staaten befasst waren. Eine Berufungsmöglichkeit gegen ihre Entscheidungen gibt es nicht.
Die "Investorenrechte", die ausländische Unternehmen nach dem geplanten TTIP-Tafta-Vertrag gegen staatliche Maßnahmen einklagen können, sind vage und gleichzeitig sehr breit definiert. Die bisherigen Schlichtungskammern haben diese Rechte tendenziell weit großzügiger interpretiert, als sie einheimischen Firmen nach nationalem Recht zugestanden werden. Dabei haben sie etwa das Recht auf einen weit gefassten Vertrauensschutz postuliert, was letztlich bedeutet: Das staatliche Regelwerk darf nach getätigter Investition nicht mehr verändert werden.
Rechtlich abgesichert wurde auch der Anspruch auf Entschädigung für "indirekte Enteignung": Ein Staat muss demnach zahlen, wenn seine neuen Regelungen den Wert der Investition verringern - selbst dann, wenn diese gleichermaßen für in- und ausländische Firmen gelten. Diese Garantie würde sich auch auf Neuregelungen des Erwerbs von Land, Rohstoffvorkommen, Energiequellen, Fabriken und anderen Investitionsobjekten erstrecken.
Mittels solcher privilegierten Regelungen in den bisherigen Abkommen haben ausländische Investoren schon in den verschiedensten Fällen eine Entschädigung für ihre "indirekte Enteignung" gefordert: im Hinblick auf Gesundheits- und Sicherheitsstandards von Konsumgütern, Gesetze über Umweltschutz und Flächennutzung, Entscheidungen bei der Ausschreibung staatlicher Projekte, Klimaschutz- und energiepolitische Maßnahmen, Gesetze über Wasserschutz oder Einschränkungen des Rohstoffabbaus.
Bei den von der Schiedskammer festgelegten Zahlungen an ausländische Konzerne kann es sich um enorme Summen handeln; in einem der jüngsten Fälle waren es mehr als 2 Milliarden Dollar. (3) Selbst wenn Regierungen gewinnen, müssen sie häufig die Verfahrenskosten tragen, die im Durchschnitt bei 8 Millionen Dollar liegen. Ohnehin werden sie oft allein schon durch eine Beschwerde seitens der Industrie verschreckt. Das zeigt etwa das Verhalten der kanadischen Regierung, die das Verbot eines toxischen Zusatzstoffs für Autobenzin zurückgenommen hat.
Text: Lori Wallach
Le Monde diplomatique Nr. 10255 vom 8.11.2013,
Lori Wallach leitet die weltweit größte Verbraucherschutzorganisation Public Citizen's Global Trade Watch in Washington, D.C.
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Fußnoten:
(1) Eine Liste dieser Fälle in: "Public Citizen, August 2013: www.citizen.org.
(2) Andrew Martin, "Treaty Disputes Roiled by Bias Charges", Bloomberg, 10. Juli 2013.
(3) Betroffen war in dem Fall Ecuador. Siehe Agence France-Presse, 13. Oktober 2012.