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Er ist das Nachfolgeprojekt des Garchinger Forschungsreaktors (1957-2000), bekannt als "Atomei", und der erste Atomreaktor nach Tschernobyl in Deutschland. Die ersten Planungen in den 80er Jahren waren die Reaktion auf einen erwarteten Neutronennotstand. Angeblich bestand Bedarf durch Überlastung der bestehenden Neutronenquellen und durch die bevorstehende Stilllegung einer Reihe überalterter Forschungsreaktoren.
Die Forschungs-Neutronenquelle FRM II (Forschungsreaktor München II) in Garching bei München ging 2004 in Betrieb. Betreiber ist die Technische Universität München bzw. der Freistaat Bayern. Problematisch ist, dass der FRM II mit hoch angereichertem Uran (HEU, Highly Enriched Uranium, Anreicherung 93 Prozent) betrieben wird, das für den Bau von Atombomben geeignet ist und missbraucht werden kann (Proliferationsrisiko, Handel und Weiterverbreitung von atomwaffenfähigem Material).
Ab einer Anreicherung von mehr als 20 Prozent gilt Uran als hoch angereichert und waffentauglich. Je höher die Anreicherung, desto weniger Material ist für einen Bombenbau nötig. Bei einem Anreicherungsgrad von ca. 90 Prozent wird als Mindestmenge für einen fortgeschrittenen Sprengkopf auf unter 7 kg Uran geschätzt. Ein Kompaktkern des FRM-II besteht aus einem einzigen Brennelement mit 8,1 kg zu 93 Prozent angereichertes Uran. Pro Jahr werden derzeit bis zu vier Kerne eingesetzt, die Verweildauer eines Kerns im Reaktor beträgt ca. 60 Tage. Aufgrund der relativ kurzen Einsatzdauer haben die abgebrannten Brennelemente noch eine Anreicherung von etwa 87 Prozent und sind nach wie vor hochangereichert und waffenfähig.
Die Verwendung dieses Brennstoffs widerspricht dem internationalen Programm zur Umstellung von Forschungsreaktoren auf niedrig angereichertes Uran, das auch von Deutschland mit einem eigenen Abreicherungsprogramm (AF-Programm) unterstützt wurde. Das Umstellungsprogramm RERTR (Reduced Enrichment for Research and Test Reactors) ist ein US-amerikanisches Entwicklungsprogramm für neue Brennstoffe mit dem Ziel, den Gebrauch von HEU mit Hilfe höherer Uran-Dichten verzichtbar zu machen. Es startete 1978.
Die Entwicklung des neuen hochdichten Brennstoffs war ein Erfolg. Weltweit wurden viele Forschungsreaktoren, die bisher mit HEU arbeiteten, auf niedrig angereichertes Uran (LEU, Lowly Enriched Uranium) umgestellt.
In Deutschland stellten zwei Forschungsreaktoren ihre Brennstoffversorgung um: FRG I Geesthacht und BER II Berlin. Bei Reaktoren, die in absehbarer Zeit stillgelegt würden, wurde auf eine Umrüstung verzichtet, so z.B. für den FRJ II Jülich, der 2006 abgeschaltet wurde. Nach der Inbetriebnahme des Forschungsreaktors Orphee (Saclay, Frankreich) in 1980 wurde weltweit kein nennenswerter Forschungsrektor mehr mit HEU in Betrieb genommen. Ausnahmen bildeten China, Libyen, Russland und schließlich Bayern.
Der Garchinger Sonderweg besteht darin, dass die Reaktorplaner der TU München den speziell für die Verwendung von LEU in Forschungsreaktoren entwickelten Brennstoff hoher Dichte mit Uran hoher Anreicherung kombinierten, also zweckentfremdeten. Seit den ersten HEU-Plänen für den Garchinger Reaktor (1988) gab es Bestrebungen, den FRM II abzurüsten. Die USA haben sich seit 1989 bemüht, die TU München zur Umplanung ihres neuen Reaktors auf LEU zu bewegen und Hilfestellung angeboten. Auf nationaler Ebene war man sich 1988 noch einig, dass neue Forschungsreaktoren nur noch mit LEU ausgerüstet werden.
Sobald der neue hochdichte Brennstoff mit niedriger Anreicherung entwickelt war und zur Verfügung stand, entschied sich die TU München dafür, diesen Brennstoff mit Uran hoher Anreicherung zu kombinieren, um weltweit an der Spitze zu sein. Unter diesen Umständen waren die USA nicht bereit, HEU für den FRM II zu liefern und nahmen dies 1992 mit dem sog. Schumer Amendment in die nationale Gesetzgebung auf. Es besagt, dass HEU nur noch an Reaktorbetreiber geliefert werden darf, die einer Umrüstung auf LEU zugestimmt haben oder wenn eine Umrüstung derzeit nicht möglich ist.
Daraufhin schloss die Bundesregierung 1998 ein Rahmenabkommen mit der Russischen Föderation zur Lieferung von 1200 kg HEU für den FRM II. Die Rückführung der verbrauchten Brennelemente ist in dem Vertrag nur vage beschrieben: [Auszug aus dem Abkommen zwischen der BRD und der Russischen Föderation, 1998]:
Der abgebrannte nukleare Brennstoff kann sowohl in der Russischen Föderation als auch ... in der BRD sowie bei gegenseitigem Einvernehmen ... in einem Drittstaat wiederaufgearbeitet werden. Wird eine Wiederaufarbeitung (WAA) ... in der Russischen Föderation vereinbart, schließen beide Vertragsparteien ein gesondertes Abkommen, in dem die Modalitäten der WAA festgelegt werden.
Dieser Vertrag wurde 2008 gekündigt. Mitlerweile gibt es einen neuen Vertrag zwischen Bayern und der Russischen Föderation über die Lieferung von HEU mit 91 Prozent Anreicherung. Dem Jahresbericht der russischen Firma TVEL von 2015 zufolge wird für den "Reaktor München-II" HEU neu produziert und stammt damit nicht aus Abrüstungsbeständen.
Die Bundesregierung setzte unter Federführung des damaligen BMBF 1999 eine Expertenkommission ein, die eine Umrüstung von HEU auf LEU prüfen sollte. Sie kam zum Ergebnis, dass eine Umrüstung auf eine Anreicherung unter 20 Prozent noch vor Inbetriebnahme technisch möglich, proliferationspolitisch sinnvoll und für die wissenschaftliche Nutzung nicht ernstlich nachteilig wäre.
Doch die TU München beharrte weiterhin auf dem HEU-Konzept. Schließlich wurde der Bau unter Auflagen genehmigt: Der Reaktor durfte wie geplant in Betrieb gehen, allerdings nur befristet: bis Ende 2010 sollte eine Umrüstung auf eine mittlere Anreicherung (< 50 Prozent) erfolgen. Mit Verweis auf eine juristisch unwirksame Vereinbarung zur Fristverlängerung bis 2018 zwischen dem bayerischen Wissenschaftsministerium und dem Bundesforschungsministerium wurde der Reaktor weiter mit HEU betrieben. Eine Umrüstung ist bis heute nicht erfolgt.
Die TU München führt an, dass sich bei der internationalen technisch-wissenschaftlichen Entwicklung von neuen Brennstoffen für die Umrüstung des FRM II immer wieder "unerwartete" Verzögerungen eingestellt haben.
Die abgebrannten Brennelemente lagern in Garching in einem Nasslager, das mit fünfzig Positionen für zehn Betriebsjahre ausgelegt wurde. Ein Zwischenlager am Standort Garching war nie geplant. Als Entsorgungsnachweis galt die Verbringung der abgebrannten Brennelemente in das Zwischenlager Ahaus. Geplant sind 17 Transporte mit je fünf Brennelementen von je acht Kilogramm. Der dafür neu entwickete Castor MTR 3 wurde Anfang 2019 genehmigt, der erste Transport soll Ende 2019 erfolgen. Bis heute liegt aber weder eine Einlagerungsgenehmigung für Ahaus, noch die Verkehrsrechtliche Zulassung vor.
Die gebrauchten Brennelemente des FRM II, die noch immer waffenfähig sind, sollen nun über hunderte von Kilometern von München bis nach Ahaus in Nordrhein-Westfalen transportiert werden und über Jahrzehnte in einem relativ ungeschützten Zwischenlager lagern. Zum Vergleich: Die Kernbrennstoffe aus dem Schnellen Brüter in Kalkar und aus dem KNK des Forschungszentrums Karlsruhe lagerten aus Sicherheitsgründen im sog. „Plutonium-Bunker“ in Hanau.
Die Reaktor-Sicherheitskommission hat 2001 im Zusammenhang mit dem atomrechtlichen Genehmigungsverfahren in der dritten Teilerrichtungsgenehmigung (3.TEG) des Forschungsreaktors FRM II folgendes beschlossen: [Auszug aus der Empfehlung der RSK, Pkt. 2.3, S. 84]:
Um die Unterkritikalität bei der Einlagerung von FRM II-Brennelementen langfristig einzuhalten, wird eine Konditionierung durch Zumischung von abgereichertem Uran zur Verminderung der Restanreicherung für unumgänglich gehalten. Vom Forschungszentrum Karlsruhe wurde beispielhaft ein Denkansatz für eine mögliche Konditionierung vorgestellt. Diese Konditionierung sei in einer Heißen Zelle durchführbar. Ein optimiertes Verfahren zur endlagergerechten Konditionierung könne nach Inbetriebnahme des FRM II und parallel zu den Fortschritten bei der Realisierung der Endlagerung näher entwickelt werden.
Für die Konditionierung von HEU-Brennelementen aus Forschungsreaktoren wurde bereits in den 1990er Jahren in den USA ein so genanntes Melt & Dilute Verfahren entwickelt. Entsprechendes Know-How gibt es auch im radiochemischen Institut (RCM) der TU München nahe des Forschungsreaktors FRM II. Das Institut hat in einem FuE-Vorhaben ein Konditionierungsverfahren für SUR-Kerne (Siemens Unterrichtsreaktoren) der Siemens Schulungsreaktoren entwickelt. Sämtliche Brennelemente der abgeschalteten SUR-Reaktoren und des AKR-Reaktors (Ausbildungskernreaktor) der TU Dresden wurden ab 2008 aufgearbeitet und heruntergemischt.
Seitens der Betreiber gibt es offenbar keinerlei Pläne, den hochangereicherten Atommüll zu konditionieren. Dies ist aber für eine Endlagerung zwingend erforderlich. In der 3. TEG vom 2.5.2003 ist dies verankert: [Auszug aus der 3. TEG, S. 25]:
Im Rahmen der ... jährlich zu erbringenden Nachweise sind ... realistische Planungen zur Entwicklung und Realisierung eines Verfahrens zur endlagergerechten Konditionierung der abgebrannten Brennelemente ... darzulegen. Die Planung ist jeweils entsprechend so zu konkretisieren, dass gewährleistet ist, dass das Verfahren einschließlich Einrichtungen zur endlagergerechten Konditionierung ... technisch und praktisch zur Verfügung steht.
Eine solche Konditionierungs-Möglichkeit gibt es in Deutschland nicht. Bislang war es üblich, dass die USA in der westlichen Welt HEU-Brennstoff für Forschungsreaktoren lieferten und die abgebrannten Brennelemente dann aus Gründen der Nichtweiterverbreitung wieder zurückgenommen haben. Doch dies trifft beim FRM II nicht zu.
Wo die gebrauchten Brennelemente ggf. in Russland konditioniert und gelagert werden könnten, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass die Lagerung von deutschem Atommüll in Russland schon einmal untersagt wurde, aufgrund der prekären Sicherheitsverhältnisse vor Ort.
Es ist völlig unklar, was mit dem Garchinger Atommüll geschehen soll. Klar ist, dass auch die abgebrannten Brennelemente ein hohes Proliferationsrisiko darstellen und eine Konditionierung bzw. Abreicherung vor der längerfristigen Lagerung nötig ist. Das Umweltinstitut München fordert deshalb dringend die Prüfung der Errichtung eines für hoch angereichertes Material entsprechend gesicherten Zwischenlagers am Standort Garching zur trockenen Lagerung der Reaktorkerne sowie die Entwicklung eines Verfahrens zur Konditionierung und Abreicherung gemäß Empfehlung der RSK.
Einen Export dieses brisanten Mülls lehnen wir ab. Gerade wegen des deutschen Sonderwegs und Ausscheiden aus internationalen Vereinbarungen sehen wir es als geboten, dass der hoch brisante Atommüll in nationaler Verantwortung bleiben muss.
Für Atom(spalt)waffen gibt es zwei Pfade: Plutonium oder Uran. Beim Uran ist der Anreicherungsgrad von U-235 ausschlaggebend für die Atomwaffentauglichkeit.